Vom FDJ-Jugendklub zum „Freien Träger der Jugendhilfe“ mit Fernsehlizenz
Gedanken zum 30-jährigen Bestehen des Jugendklub Wettin
von Hiltrud Blaue
„Die Achtziger Jahre waren schon ein spannendes Jahrzehnt, es begann mit meiner ersten Nierentransplantation und endete mit dem Zusammenbruch der DDR.
Da gab es in der Langen Reihe ein Haus mit dem Schild „Jugendklub“, doch Jugendliche hat man zu dieser Zeit lediglich im Park an der Saale gesehen, irgendwie kam ich mit Ihnen ins Gespräch und wir fanden, dass ein Treffpunkt im Haus „Lange Reihe 49“ besser wäre. So ging ich zum damaligen Bürgermeister, Herrn Naumann, und bat um den Schlüssel für den Jugendklub. Ich erhielt Ihn mit den Worten: „Nun bist du Jugendklubleiter in Wettin!“ Wir, die jungen Leute aus dem Park und ich versammelten uns im „Wettiner Hof“ und gründeten offiziell einen Jugendklub Wettin. Das war 1984.
Wir begannen damit, das Haus zweckentsprechend einzurichten, was aber nicht immer so einfach war. Das Interesse der Jugend war aber geweckt und viele packten mit an. Es entwickelte sich ein frohes Jugendleben im Klub.
Angeregt vom 1984 erschienenen Film „Beat Street“ von Harry Belafonte wollten wir ein erstes Breakdance – Festival organisieren. Plötzlich interessierte sich das ZDF für unser ungewöhnliches Vorhaben, und eine Organisation, die gerne im „Leben der Anderen“ schnüffelte, verbot das Festival. Nun war erst mal „Schluss mit Lustig“, und wir sollten ein Vorzeige-FDJ Jugendklub werden, wir bemühten uns.
Wichtig für unsere Klubarbeit wurde die Vorbereitung und Durchführung der wöchentlichen Diskoveranstaltungen. Sie fanden immer mittwochs und samstags abwechselnd im „Wettiner Hof“ oder in der HO – Gaststätte „Kleiner Schweizerling“, heute Fa. Meyer, statt. Das Eintrittsgeld betrug 2,10 Mark, davon bezahlten wir die „Schallplattenunterhalter“, den Rest zahlten wir auf ein Verwahrkonto bei der Stadt Wettin ein, hatten aber keine Probleme, darüber selbst zu verfügen.
Unsere „Jugendtanzveranstaltungen“ wurden zu einem Anziehungspunkt für Jugendliche der gesamten Region und auch aus Halle. Nicht selten gab es eine Saalschlägerei zwischen den Wettinern und den Schäferlehrlingen von der Oberburg zu schlichten.
Dafür gab es eine sog. Ordnungsgruppe, denn wenn um 18.00 Uhr die Kassen zur Disco geöffnet wurden, drängten sich Hunderte von Leuten in den Saal der jeweiligen Gaststätte und man musste irgendwie den Überblick behalten, denn die Saalkapazität war begrenzt. Um 23.00 Uhr war das Ende der Veranstaltungen, uns blieb die lästige Pflicht des Aufräumens und Saalwischens, dafür wurde uns die Saalmiete erlassen. Es mussten Reinigungsdienste eingeteilt werden. Eine gute Motivation zum Sonntagvormittag, den jeweiligen Saal zu wischen, waren eine leckere Soljanka und ein Bierchen, spendiert von „Mutter Haupt“ im „Wettiner Hof“.
Die Erlöse der Disco – Veranstaltungen verwendeten wir für die Anschaffung von neuen Möbeln in unserem Klub in der Langen Reihe. Aber auch Live-Konzerte konnten wir im kleinen Rahmen im Jugendklub oder im großen Saal durchführen. Unsere Lieblingsbands waren damals die Gruppen „Ohne Filter“ aus Weimar und „Rengering“ aus Halle.
Für unsere Jugendklubarbeit erhielten wir Anerkennung und sogar 10 Eintrittskarten für das legendäre Bruce Springsteen-Konzert 1988 in Ost-Berlin.
„Jegliches hat seine Zeit…“,
mit dieser Textzeile der Puhdys aus ihrem Titel: „Wenn ein Mensch lebt“ möchte ich den nächsten Abschnitt meiner Retrospektive auf den Wettiner Jugendklub beginnen.
1990 gab es einen tiefen Einschnitt in unser „Frohes Jugendleben“. Viele der alten Jugendklubmitglieder gründeten Familien oder gingen fort von Wettin, um ihren Lebensmittelpunkt woanders zu finden. Das war ein ganz natürlicher Prozess in der Jugendarbeit; ständig gingen Leute weg und es kamen auch immer neue hinzu.
Plötzlich war alles anders, unser Ansprechpartner in Sachen Jugendarbeit war jetzt das Jugendamt Saalkreis. Es gab ein neues Kinder-und Jugendhilfegesetz, wir haben einen „eingetragenen Verein“ gegründet und wurden förderfähig. Der neu gewählte Stadtrat von Wettin beschloss in einer seiner ersten Sitzungen, dem Verein Jugendklub Wettin e.V. das Klubhaus in der Langen Reihe zu übereignen, und wir erhielten das Haus in Erbbaupacht für 99 Jahre.
Unser alter Jugendklub wurde nun sehr klein und piefig, wo uns doch plötzlich die ganze Welt offen stand. So konnten dann Ferienfahrten für Jugendliche bis 27 Jahre vom Jugendklub organisiert werden, und das funktionierte so:
Ältere Jugendliche, die schon im Besitz eines Führerscheins und eines Fahrzeugs waren, nahmen die Jüngeren in ihrem Auto mit zum Reiseziel. Sehr angesagt waren die Reisen zum Berliner Krossinsee. So kam es, dass im Sommer oftmals ein Konvoi von Wettin aus startete, an der Spitze der Transporter der Zimmerei Blaue mit dem gesamten Equipment und hinterher die Jugendlichen mit ihren PKWs. So entstanden neue Freundschaften und es gab eine neue „Generation Jugendklub“, für die ihr Klub eine Bastion auf der Suche nach Neuorientierung wurde.
Wir bekamen die Möglichkeit, unser altes Haus neu zu gestalten, denn es entsprach nicht mehr dem Vereinszweck, der die Gestaltung von Freizeitangeboten für Kinder und Jugendliche vorsah. Eine Nutzungskonzeption und ein Fördermittelantrag beim Landesjugendamt waren die Voraussetzung dafür.
1993 kam der Bescheid über eine größere Summe. Der Umbau ging los, hier waren die Wettiner Handwerksbetriebe gefragt. Zum Glück hatte uns Herr Willi Baumbach als einer der Erbauer dieses Hauses alle alten Bauunterlagen aus den Jahren 1925/26 geschenkt, sodass einer Umbaugenehmigung nichts im Wege stand. Ein Teil der Umbauarbeiten musste in Eigenleistung erbracht werden; das war für die Jugendlichen des Vereins kein Thema, freiwillig opferten sie ihre Wochenenden für den Umbau ihres Klubs und hatten dabei sogar noch Spaß, denn sie bauten sich ein NEST.
Im Juni 1994 feierten wir eine bombastische Einweihungsparty mit echten Weltmeistern im Fallschirmsprung, die statt einer punktgenauen Landung vor dem „Nest“ im Erdbeerbeet auf dem Weinberg landeten.
Nun hieß es, die Öffnungszeiten des neuen Jugendklubs abzusichern. Hier gab es personelle Unterstützung vom Arbeitsamt.
So kam Jens Rudolph zum Wettiner Jugendklub, denn das Offenhalten des neuen Klubhauses war nur die eine Seite, die Finanzierung der Jugendarbeit aber eine neue Herausforderung. Hier konnten wir auf praktische Erfahrungen von Jens zurückgreifen, der mit Projektarbeit und der Beantragung von Fördermitteln dazu schon Erfahrungen gemacht hatte. Gemeinsam erarbeiteten wir Konzeptionen für alle möglichen Freizeitprojekte von und für Jugendliche und Kinder, in und um Wettin.
Dazu war es oft nötig, neue Partner einzubeziehen. Tolle Projekte gab es gemeinsam mit der „ Schule für Mode und Design“, hier gab es Empfehlungen von jungen Modemachern und Visagisten für die Teilnehmerinnen. Vom „Thalia-Theater“ Halle gab es mit einer Förderung des Jugendamtes Saalkreis ein Projekt, das Lust auf Theater im Nest machte. Das Jugendamt Saalkreis war inzwischen ein zuverlässiger Partner für uns geworden.
Wichtig wurde für uns nun auch der Umgang mit dem Steuerrecht für Vereine, deshalb gingen wir auf die Suche nach einem Steuerberater. Wir fanden ihn in der Langen Reihe, rauchend vor seinem kleinen Büro und baten ihn, unser Steuerberater zu werden: „Da muss ich mich erst mit den Steuern für Vereine auseinandersetzen“, O-Ton Herr R., Steuerberater. Er tat es und vertritt heute die großen Sportvereine des Landes und ist immer noch unser Steuerberater, der sich für alles interessiert, was im Nest passiert.
„Kunst und Kultur im Nest“ (KuK) wurde ebenfalls zu einem erfolgreichen Projekt, das auch heute noch im Nest zelebriert wird. So wurden hier Arbeiten junger, talentierter Schüler des Wettiner Burggymnasiums ausgestellt, eine erste Vernissage gestaltete Lisa Rackwitz bei uns im Nest. Es entwickelte sich eine gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Wettiner Kunstgymnasium. Das Land Sachsen-Anhalt förderte uns in den 90ern sogar Schulsozialpädagogen, die in beiden Wettiner Schulen tätig wurden.
Eine besondere Herausforderung war die Vorbereitung von diversen Partys und Festen am Nest, denn der Organisationsaufwand forderte stets die kreative Mitarbeit aller Vereinsmitglieder.
Es gab z.B. das „Fest am Nest“, das Osterfeuer zu „Klein-Ostern“, die Strandpartys und – nicht zu vergessen – das „Wettiner Biker-Treffen“. Auch bei der Vorbereitung der Burgfeste waren die Jugendlichen des Vereins aktiv. Hier finden wir die Wurzeln für den heute erfolgreichen „Offenen Kanal aus Wettin“, denn Jens Rudolph hatte eine AG „Videofilm“ mit wenigen Interessierten ins Leben gerufen. Mit ihrer damals noch spärlichen Ausrüstung filmten sie, was sich in Wettin abspielte: Ob Burgfest oder Alltagsgeschehen, alles wurde gefilmt und zu einem kleinen Video zusammengeschnitten. Es blieb nur noch, eine Möglichkeit zu finden, das alles einem Publikum zu präsentieren. In Wettin bestand ein Kabelnetz, das ursprünglich von Herrn Falke und Herrn R. Zametschnik errichtet worden war, um vielen Wettinern ein gutes „Westbild“ zu ermöglichen. Dieses Netz durften wir nun für uns nutzen. Das musste aber erst vom Landes- Rundfunkrat genehmigt werden. Der Antrag wurde gestellt, und 1999 gab es einen positiven Bescheid von der Landesmedienanstalt Sachsen-Anhalt. Das war die Geburtsstunde des „Offenen Kanals“ aus Wettin, dem kleinsten von 7 in ganz Sachsen-Anhalt.
Am Ende der 90er Jahre gab es für mich wieder einmal einige längere Krankenhausaufenthalte, zum Glück konnte Jens die gesamte Jugendarbeit, die laufenden Projekte und auch die Arbeit des „Offenen Kanals“ weiterführen. Es gelang ihm, eine gute Symbiose zwischen der Jugendarbeit des Vereins „Das Nest“ und der Medienarbeit im „Offenen Kanal“ herzustellen, die sich für alle Beteiligten als nützlich erwies.
Es war ein gutes Gefühl, eine Aufgabe, die mit viel Herzblut begonnen worden war, in den Händen eines kompetenten Freundes und vieler Helfer zu wissen. Wir nannten unser altes Klubhaus in der Langen Reihe nun unser „Mediennest“. Jede Woche wurde eine neue Sendung von den unterschiedlichsten Nutzern produziert, die Themen waren oft frei gewählt, und so entstand in Wettin ein echtes Bürgerfernsehen.
Die 2000erJahre begannen wieder mit einer Spenderniere für mich und ich hatte Zeit, mich zu erholen, denn Jens hatte inzwischen das Projektmanagement profiliert und mithilfe vieler Förderer neue, für interessierte Jugendliche sehr attraktive Technik angeschafft.
Mit meiner neu gewonnenen Power vertiefte ich mich in die Historie Wettins und versuchte mit einigen Gleichgesinnten, die Kulturlandschaft Wettins etwas aufzuhübschen.
Dabei entstand die Idee zu einem später preisgekrönten Filmprojekt über die bekanntesten Wettiner Sagen. Es fanden sich sofort junge Leute vom „Offenen Kanal“, die ein Drehbuch schrieben und es auch unter Jens Anleitung verfilmten. Die Darsteller fanden wir in der Region.
Neben der Medienarbeit, die für das gesamte „Nest“ existenziell wurde, gibt es aber auch noch die sogenannte „offene Jugendarbeit“, für die jede Menge Raum im Untergeschoss geschaffen wurde. Hier sorgen speziell Tino H. und Gerda O. dafür, dass unser Nest eine angesagte Adresse beim jungen Partyvolk Wettins ist.
Eine harte Bewährungsprobe für das gesamte Team war die Hochwasserkatastrophe 2013. Unser Nest ist nahezu vollständig in der Saale versunken, aber niemand hat daran gezweifelt, dass es weitergehen würde. Viele freiwillige Helfer und auch wieder die Wettiner Handwerker beseitigten alle Schäden, nachdem es Jens wieder einmal gelungen war, Spenden heranzuholen und Fluthilfemittel zu besorgen.
Nun zum eigentlichen Anlass meiner Retrospektive, dem Dreifachjubiläum in unserem Haus!
1. 30 Jahre Jugendklub Wettin 1984-2014
2. 20 Jahre Verein Nest Wettin 1994-2014
3. 15 Jahre „Offener Kanal Wettin“ 1999-2014
Das ist doch Grund genug zum Feiern! Deshalb soll ein Fest auf unserem Gelände an der Saale stattfinden.
Ich hoffe, wir sehen uns –
Hiltrud Blaue“